Biologie der Angst
Ein elementares Ziel des Medical Trainings ist es, Angst und Stress, die der Hund während Untersuchungen und Manipulationen empfindet so gut wie möglich zu vermeiden, beziehungsweise so gering wie möglich zu halten.
Zum einen, damit der Hund diese negativen Empfindungen einfach nicht erleben muss. Zum anderen, damit die Untersuchungen und Manipulationen leichter vonstattengehen können sowie auch, damit bestimmte Untersuchungsparameter durch die empfundene Angst des Hundes nicht beeinflusst werden. Wie zum Beispiel durch eine Erhöhung der Herzfrequenz oder eine Erhöhung der Körpertemperatur.
Ebenfalls wird hierdurch die Verletzungsgefahr aufgrund von Abwehr- und Fluchtverhalten für alle Beteiligten minimiert.
Aber was genau ist Angst und wofür ist sie gut?
Der nachfolgende Beitrag soll ein bisschen verständlicher machen, was es mit der Angst aus biologischer Sicht auf sich hat und was dabei im Körper passiert.
In diesem Beitrag handelt es sich aus verschiedenen Gründen um eine stark vereinfachte Darstellung des Prozesses der Angst. Etwas genauer und detaillierter betrachtet sind noch mehr Regionen aus dem Gehirn an diesem Prozess beteiligt, welche wiederum in diversen Wechselwirkungen zueinander agieren.
Zudem gibt es verschiedene Theorien der Angstreaktion. Ich orientiere mich in diesem Beitrag weitestgehend an dem von LeDoux aufgestellten Model.
Ebenfalls zur Vereinfachung verwende ich den Begriff Angst gleichbedeutend zu dem Begriff Furcht.
Was ist Angst?
- Angst ist eine hoch funktionale und sinnvolle Reaktion.
- Angst ist eine Emotion.
- Angst ist vom Individuum nicht steuerbar.
- Angst ist ein biologisch festgelegtes Alarmsignal, welches in manchen Situationen einem Individuum das Leben retten kann.
- Angst ist in die Zukunft gerichtet und tritt auf, als Reaktion auf bedrohlich, ungewiss oder unkontrollierbar beurteilte Ereignisse oder Situationen.
- Angst löst eine Reihe körperlicher Symptome aus, welche dem Individuum ermöglichen, schnell und effektiv zu handeln (Kampf oder Flucht).
Biologische Funktion
Die biologische Funktion von Angst ist es, das Individuum in Not- bzw. gefährlichen Situationen vor Schäden zu schützen bis hin ihm das Überleben zu sichern.
Ein Hund, welcher beim Tierarzt Angst empfindet, tut dies nicht beabsichtigt!
Angst ist eine biologisch sinnvolle, unwillkürliche – also eine vom Hund nicht gesteuerte oder bewusst entschiedene – Emotion. Ihre Funktion ist es, in potenziell gefährlichen Situationen die Unversehrtheit des Individuums zu sichern. Angst ist mit einer Reaktion gekoppelt, welche die Angst mindern soll oder anders gesagt, welche den Auslöser der Angst reduzieren oder beseitigen soll. Diese Bemühungen spiegeln sich häufig in Form von Flucht- oder Kampfverhalten wieder.
Ein Hund, welcher beim Tierarzt Angst empfindet, fürchtet um sein Wohl und seine Unversehrtheit. Für ihn ist es nicht so einfach, zwischen Tierarzt und „richtiger‟ Gefahrensituation zu unterscheiden. Zum einen, weil ihm das Verständnis dafür fehlt, was und warum das alles mit ihm gemacht wird und vor allem auch, weil der Umgang, welchen der Hund während solch einer Untersuchung oder Manipulation erfährt, in der Regel sehr ungewohnt für ihn ist. Während solch einer Untersuchung wird er nicht selten eingeengt (fixiert), es werden ihm Schmerzen zugefügt (Blutabnehmen, Spritzen geben, Abtasten an evtl. schmerzhaften stellen) und fremde Menschen kommen ihm sehr nah und fassen ihn einfach an (ungewohnte und unvorhersehbare Situation).
Was passiert in Gehirn und Körper bei einer Angstreaktion?
Zunächst nehmen die Sinnesorgane einen oder mehrere Reize aus der Umwelt auf und leiten diese ans Gehirn weiter.
Genau genommen werden die ganzen Sinneswahrnehmungen wie Hören, Sehen, Schmecken, Riechen und Fühlen zunächst ins Zwischenhirn geleitet, und zwar an den Thalamus.
Der aufgenommene Geruch wird neben der Weiterleitung an den Thalamus zusätzlich auf direktem Weg an das Riechhirn geleitet.
Thalamus
Im Thalamus werden die aufgenommenen Sinneswahrnehmungen nach ihrer Wichtigkeit ausgewertet, wobei die wichtigen Informationen anschließend in das Bewusstsein gelangen – also von dem Individuum bewusst wahrgenommen werden. Zu diesem Zweck werden diese Informationen an die Großhirnrinde weitergeleitet. Im Gegensatz dazu werden die als unwichtig gewerteten Sinneswahrnehmungen erst gar nie vom Individuum bewusst wahrgenommen. Deshalb wird der Thalamus auch „Tor zum Bewusstsein“ genannt.
Darauf, was nachfolgend mit den Informationen geschieht, welche an die Großhirnrinde (und damit an das Bewusstsein) weitergeleitet werden, komme ich etwas später zurück. Denn der Thalamus sendet einen Teil der Informationen noch zusätzlich an eine andere Hirnregion, dessen Reaktionsablauf ich zuerst beschreiben möchte.
Und zwar wird ein kleiner Teil der Informationen, genauer gesagt jene, welche in ein bestimmtes Muster für Gefahren passen, vom Thalamus direkt an die Amygdala gesendet. Das sind zum Beispiel Reize, welche überraschend und/ oder plötzlich auftauchen, die im Dunkeln auftauchen, unbekannte Objekte oder Subjekte (unbekannte Dinge werden sozusagen „sicherheitshalber“ zunächst skeptisch bewertet) oder auch Schlangen oder schlangenähnliche Objekte – nur um einige Beispiele zu nennen.
Beim Tierarzt könnten dies ebenfalls unbekannte Objekte, wie diverse Untersuchungsgeräte oder Situationen sein, in denen sich Menschen anders verhalten, als der Hund es gewohnt ist. Und auch schmerzreize, wie sie durchs Spritzengeben oder Abtasten verursacht werden können, können beim Hund Angst auslösen.
Die Informationen, welche hierbei an die Amygdala weitergeleitet werden, sind zunächst nur recht vage und stellen keine klare Beurteilung der Situation dar.
Amygdala
Die Amygdala ist ein Teil vom Funktionskreis des Limbischen Systems und gilt als Speicher der emotionalen Erinnerungen. Die Amygdala steuert hierfür das sogenannte „implizites Emotionales“ bzw. „emotionale Gedächtnis“. Der Abruf von Erinnerungen aus dem emotionalen Gedächtnis läuft unbewusst ab, das heißt die Erinnerungen werden von dem Individuum nicht bewusst wahrgenommen.
Zuvor jedoch erhält die Amygdala Informationen, zum einen vom Thalamus und zum anderen direkt vom Riechhirn. Diese ankommenden Reize werden dann mit früheren Erfahrungen aus dem emotionalen Gedächtnis abgeglichen. Bei einer Erinnerung an potenzielle Gefahr wird durch die Amygdala die Emotion Angst ausgelöst. Die Informationen, die die Amygdala vom Thalamus erhält, sind jedoch nur vage und lassen dadurch noch keine klare Beurteilung der Situation zu. Gibt es trotz dessen Ähnlichkeiten mit bereits in der Vergangenheit gemachten angstauslösenden Erfahrungen oder ähneln diese Informationen angeborenen angstauslösenden Reizen, dann reagiert die Amygdala sofort und veranlasst eine entsprechende Angstreaktion (Schreckreaktion).
Dieser Vorgang ist unwillkürlich, unbewusst und passiert vor allem rasend schnell. Nicht selten ist diese Reaktion im Nachhinein unnötig gewesen. Wer kennt es nicht, dass man erschrickt und sich dann im Nachhinein herausstellt, dass es nur der Arbeitskollege war, der plötzlich und unerwartet um eine Ecke gekommen ist? Man könnte hierbei sagen, dass dies nette Grüße von der Amygdala gewesen waren. ABER wenn wirklich mal eine Gefahrensituation bestehen sollte, so kann man gar nicht schnell genug reagieren und dann kann die Amygdala einem wortwörtlich das Leben retten.
Was ein Lebewesen bei einer möglichen Gefahr so schnell reagieren lässt, schauen wir jetzt noch etwas genauer an.
Passen also die Erhaltenen Informationen laut Amygdala potenziell zu einer früheren beängstigenden Erfahrung oder einem angeborenem Angstauslöser, dann stimuliert die Amygdala über Eiweiße sogenannte Neuropeptide, den Hypothalamus.
Hypothalamus
Der Hypothalamus gilt als wichtiges Steuerungszentrum von vegetativen sowie hormonellen Prozessen. Im Falle einer potenziellen Gefahr (diese Information hat er durch die Neuropeptide der Amygdala erhalten) setzt der Hypothalamus gleichzeitig zwei Aktivierungsmechanismen des sogenannten Sympathischen Nervensystems in Gang.
Zum einen die schnelle und kurzfristige neuronale Aktivierung und zum anderen die langsamere, aber dafür länger anhaltende hormonelle Aktivierung.
Bei der Neuronalen Aktivierung stimuliert der Hypothalamus, über Nervenbahnen über das Rückenmark hinweg, das Nebennierenmark, zur Ausschüttung des Hormongemisches von 80% Adrenalin und 20% Noradrenalin, welches ins Blut abgegeben wird.
Hierbei bewirkt das Adrenalin:
- Erhöhung der Herzleistung
- Anstieg des Blutvolumens
- verstärkte Durchblutung der Skeletmuskulatur
- Steigerung der Atmung
- Mobilisierung von Energiereserven
- zentral erregende Wirkung
- Pupillenerweiterung
Das Noradrenalin hat u.a. folgende Auswirkungen:
- Erweiterung der Bronchien
- Förderung des Atomvolumens
- Herabsetzung der Magen-Darm-Tätigkeit
Diese Anpassungen der Körperfunktionen fördern eine schnelle Reaktionsbereitschaft, wie sie zum Beispiel bei einer Flucht- oder Kampfreaktion benötigt wird.
Bei einer tierärztlichen Untersuchung jedoch können diese Anpassungen der Körperfunktionen gegebenenfalls zu einer unpräziseren Diagnose führen.
Die maximale Aktivierung durch Adrenalin und Noradrenalin infolge einer Angstreaktion wird in der Regel nach einigen Minuten wieder gestoppt, um eine Überbeanspruchung des Körpers zu verhindern.
Neben der schnellen neuronalen Aktivierung gibt es dann noch die langsamere, aber dafür längerfristige hormonelle Aktivierung, welche ebenfalls durch den Hypothalamus in Gang gesetzt wird: Hierfür schüttet der Hypothalamus das Hormon CRH (Corticotropin-Releasing-Hormon) aus, wodurch wiederum die Hypophyse stimuliert wird.
Die Hypophyse ihrerseits setzt aufgrund der Stimulation durch das Hormons CRH das Hormon ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) frei.
Durch die ACTH-Freisetzung wird schließlich (unter anderem) die Nebennierenrinde angeregt, Cortisol auszuschütten.
Die freigesetzten Hormone (vor allem Cortisol) haben folgende Wirkung:
- Stimulierung und Aktivierung der Psyche
- Anstieg des Blutzuckerspiegels
- Erhöhung des Blutdrucks
- Steigerung der Herzleistung
- erhöhte Blutgerinnung
- entzündungshemmend Wirkung
Großhirnrinde
Jetzt gehe ich nochmals zu der Großhirnrinde zurück. Wir erinnern uns: Der meiste Teil der Informationen, welche mit den Sinnesorganen aufgenommen wurden, jener Teil, welcher bewusst werden soll, wird vom Thalamus an die Großhirnrinde geleitet. In der Großhirnrinde werden die Sinnesreize nun zu Bildern und Eindrücken verarbeitet.
Erst jetzt, nachdem die Großhirnrinde die Informationen des Thalamus „langsam“ verarbeitet hat und nachdem zuvor längst die Kaskade der Angstreaktion von der Amygdala in Gang gesetzt wurde, wird dem Individuum überhaupt erst bewusst, worauf was es reagiert hat. „Langsam verarbeitet“ ist hierbei natürlich ein bisschen übertrieben. Auch dieser Vorgang geht innerhalb von Millisekunden vonstatten.
Die so von der Großhirnrinde ausgewerteten detailreicheren und eindeutigeren Informationen werden nun herangezogen, um die Situation neu und diesmal bewusst zu bewerten.
Hierzu werden zusätzlich frühere Erfahrungen, welche das Individuum gemacht hat, mit der jetzigen Situation verglichen. Diese Erfahrungen bzw. Erinnerungen werden aus dem Hypocampus – dem Ort des „expliziten“ bzw. „deklarativen Gedächtnis“ – abgerufen. Dieses Gedächtnis wird im Gegensatz zum „emotionalen Gedächtnis“ der Amygdala vom Bewusstsein gesteuert.
Entsprechend wird auch die Reaktion angemessen zu der nun bewusst wahrgenommenen Situation neu angepasst.
Das heißt: Stellt es sich heraus, dass doch keine Gefahr besteht, werden die körperlichen Reaktion auf die zunächst geglaubte potenzielle Gefahr wieder gestoppt.
Empfindet das Individuum die Situation jedoch als gefährlich, wird der Körper weiterhin in Alarmbereitschaft und damit in Reaktionsbereitschaft belassen.
Die 4 Fs
Es werden vier Möglichkeiten unterschieden, wie ein Individuum in einer Gefahrensituation reagieren kann. Wie es im Endeffekt reagiert, ist typ-, spezies- und situationsabhängig, sowie von den vorherigen Erfahrungen, die das jeweilige Individuum in seinem Leben gemacht hat.
Mit einer der folgenden 4 Möglichkeiten reagiert ein Individuum in einer Gefahrensituation – diese werden auch als die 4 Fs bezeichnet.
- freeze (Erstarren, Einfrieren)
- flight (Fluchtreaktion)
- fight (Kampfreaktion)
- flirt oder fiddle about (übertrieben freundliches Verhalten)
Freeze:
Das „Freeze“ kann zum einen in Form eines kurzen Erstarren innerhalb einer Schrecksekunde stattfinden, in Folge einer plötzlich auftretenden Gefahr. Hierbei wird für eine potenziell bevorstehende Kampf- oder Fluchtreaktion vom Körper kurzfristig Energie mobilisiert. Hinzukommend werden die Sinne gezielt auf die Gefahrensituation ausgerichtet, um diese besser abschätzen zu können, um entsprechend optimal auf diese reagieren zu können. In diesem Fall geht das „Freeze“ einer der anderen drei 4-F-Reaktionen vorweck.
Das „Freeze“ kann aber auch länger anhalten, wie es etwa beim „Starr vor Angst sein‟ vorkommt. Dies kommt zum Beispiel dann vor, wenn das Individuum das Gefühl hat, der Gefahrensituation absolut unterlegen zu sein und dass weder Kampf noch Flucht etwas nützen würden.
Die Freeze-Reaktion wird im Gegensatz zur Flucht- oder Kampfreaktion durch das Parasympathische Nervensystem gesteuert.
Flight:
Flight oder auch Fluchtreaktion wird meistens dann gewählt, wenn das Individuum eine gute Chance hat, durch Flucht vor dem Auslöser zu entkommen. Das ist vor allem dann gegeben, wenn der Angstauslöser noch weit genug entfernt ist.
Die Fluchtreaktion wird vom Sympathischen Nervensystem gesteuert und steht im engen Zusammenhang mit der Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin.
Fight:
Fight oder auch Kampfreaktion wird vorwiegend dann gewählt, wenn eine Flucht zwecklos erscheint. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn das Individuum aufgrund eines zu geringen Abstandes zum Angstauslöser vor diesem nicht mehr fliehen kann. Die Kampfreaktion ist hierbei eher ein Verteidigungskämpfen als ein Angriffskämpfen. In der Regel wird die Fluchtreaktion der Kampfreaktion vorgezogen, da hierbei die Wahrscheinlichkeit größer ist, unbeschadet aus der Situation herauszukommen.
Die Kampfreaktion wird vom Sympathischen Nervensystem gesteuert und steht im engen Zusammenhang mit der Ausschüttung des Stresshormons Noradrenalin.
Flirt / fiddle about:
Beim Hund lässt sich das „Flirt“ als ein übertrieben freundliches Verhalten gegenüber dem Angstauslöser beobachten. Dieses Verhalten beinhaltet häufig viele Elemente aus den Beschwichtigungssignalen. Es wird in der Regel gegenüber anderen Artgenossen oder aber auch gegenüber Spezies einer anderen Art gezeigt, wenn diese ebenfalls untereinander bzw. miteinander kommunizieren, wie es in artübergreifenden Verbänden vorkommt, so auch zwischen Hund und Mensch.
Beim Menschen zeigt sich das „Flirt“ zum Beispiel als ein Lachen oder auffälliges Grinsen in einer unpassenden Situation. So hat mir eine Kollegin mal ein schönes Beispiel von ihr erzählt: Sie hatte auf den Hamster ihrer Schwester aufgepasst, als diese im Urlaub war. Leider jedoch ist der Hamster in ihrer Obhut verstorben. Als die Schwester dann aus dem Urlaub zurück gekommen war, musste sie ihr nun die traurige und unangenehme Nachricht überbringen. Und sie erzählte mir, dass sie dies nicht konnte, ohne dabei zu lachen – also eine wirklich unpassende Reaktion angesichts dieser Umstände.
Lernerfahrungen:
Die jeweiligen vorangegangenen Lernerfahrungen, welche ein Individuum bis dahin in seinem Leben gemacht hat, haben einen starken Einfluss darauf, welche der 4-F-Strategien das Individuum letztlich wählt.
Ein Individuum, welches gelernt hat, dass in bestimmten Situationen eine Fluchtreaktion keinen Sinn macht, das heißt dass dadurch die Angst nicht weniger wird, bzw. der Angstauslöser nicht weggeht oder geringer wird, wird diese Strategie in Zukunft in der Art nicht mehr anwenden.
Aber was wird das Individuum in Zukunft stattdessen machen?
- Entweder wird es in Zukunft einfach früher und / oder heftigere Fluchtreaktionen zeigen (Sensitivierung / Sensibilisierung):
Beispiel: Ein Hund, welcher die Erfahrungen gemacht hat, dass er nicht aus dem Sprechzimmer der Tierarztpraxis fliehen kann, weil er festgehalten oder fixiert wird, wird in Zukunft vielleicht nicht mehr freiwillig in das Sprechzimmer gehen – danach nicht mehr in die Tierarztpraxis – danach wird er nicht mehr aus dem Auto austeigen, während dieses sich auf dem Parkplatz der Tierarztpraxis befindet oder er wird zu Hause erst gar nicht ins Auto einsteigen (wenn er an irgendwelchen Signalen erkennen kann, dass es zum Tierarzt geht).
- Oder es wird in Zukunft mit Aggression reagieren:
Wenn Flucht nicht funktioniert, kann es auch passieren, dass das Individuum versucht, mit einer Kampfreaktion die Situation für sich besser zu machen. Beim Tierarzt würde dies zum Beispiel bedeuten, dass der Hund evtl. knurrt oder schnappt.
Erlernte Hilflosigkeit:
Findet der Hund keine passende Lösungsstrategie, um dem Angstauslöser zu umgehen, wie zum Beispiel davor zu fliehen (flight) oder diesen zu verscheuchen (fight), kann es passieren, dass der Hund irgendwann in die sogenannte „erlernte Hilflosigkeit“ fällt. Eine erlernte Hilflosigkeit kann mit einer Art von „Aufgeben“ oder „Resignieren“ verglichen werden – daher, dass die Versuche des Individuums, die Situation zu seinem Besseren zu verändern, erfolglos blieben, „glaubt“ es, dass auch jegliche anderen Versuche zu keinem Erfolg führen würden. Was dazu führt, dass das Individuum die Situation ohne weitere Gegenwehr über sich ergehen lässt.
Das sind zum Beispiel Hunde, die während einer Untersuchung zunächst noch versuchen, durch Fluchtversuche zu entkommen, diese dann aber einstellen, weil diese zu keinerlei Verbesserung (oder Erfolg?) führen. Was nicht selten damit missinterpretiert wird, dass der Hund „sich an die Situation gewöhnt hat“.
Natürlich wird der Hund mit großer Wahrscheinlichkeit nicht aufgrund einer einzelnen Erfahrung dieser Art während eines Tierarztbesuches in die erlernte Hilflosigkeit geraten. Vermutlich auch nicht mit zwei oder drei. Jedoch, umso häufiger der Hund solche Erfahrungen in der Tierarztpraxis macht und umso intensiver diese sind, desto wahrscheinlicher wird es, dass der Hund irgendwann doch innerhalb eines Tierarztbesuches eine erlernte Hilflosigkeit zeigt. Wobei das Ausmaß, in der diese sich darstellt, variieren kann. So wird es Hunde geben, welche zu Beginn noch versuchen, aus der Situation zu entkommen und dann erst „aufgeben“, während andere schon von vornherein resignieren. So lässt sich vermuten, dass die dabei empfundenen „negativen“ Emotionen ebenfalls in ihrer Intensität variieren.
Auch wenn das Verhalten innerhalb der erlernten Hilflosigkeit für die Behandlung und Untersuchung augenscheinlich von Vorteil erscheint, da der Hund sich hierbei ruhig und still verhält, ist es für den Hund ein belastender Zustand. Eine erlernte Hilflosigkeit gleicht dem Zustand einer Depression und zieht mehr oder minder schwere emotionale, kognitive und motivationale Einschränkungen nach sich.
Macht er Hund auch außerhalb der Tierarztpraxis häufiger Erfahrungen, in denen seine verschiedenen Bemühungen keinen Einfluss auf seine Umwelt haben, dann können sich besagte emotionale, kognitive und motivationale Einschränkungen zusätzlich auf andere Situationen im Leben des Hundes ausweiten, länger anhalten, sowie sich intensivieren. Mit dem Resultat, dass der Hund generell schneller aufgibt, lustlos erscheint und vermehrt Mühe hat, passende Lösungen für Probleme zu finden oder neue Sachen zu erlernen.
Offene Fragen:
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